Mut-Kasper & Angst-Krokodil

Ängste? Glasklarer Fall für öffentlichen Humor und die Bühne! Gemeinsames Lachen darüber befreit. Vertreibt die Scham. Bildet. Könnte sogar Extremismus den Humus entziehen. Meinen zwei Praktiker (1) – hier ihr Praxisaufriss für den Nachfolger berühmter Klinik-Clowns: den Mut-Kasper (mit Angst-Krokodil).

„Angst essen Seele auf.“ Das berühmte Melodram von Rainer Werner Fassbinder führt drastisch vor Augen, wie uns Ängste in den Schwitzkasten nehmen können. Nicht nur der Film, auch die Bühne bietet ein Forum für dieses Menschheitsthema, das uns derzeit ziemlich fest im Griff hat.

Methode und Dramaturgie

Für die Realisierung schlagen wir ein Novum vor, das Angstkabarett. Es fußt auf der Tradition von Wissenschafts-/Gesundheitskabaretts sowie Klinikclowns. Beide suchen einen unterhaltsamen Umgang mit Krankheits- und Genesungsprozessen. Humor schafft Distanz und ermöglicht Kritik, auch Selbstironie, zusammen mit herzhaft-befreiendem Lachen. Das entstresst, fördert die Heilung und das Wohl-Sein, pustet die zerebralen Neuronen und Synapsen durch, gestattet horizontverlängernde Perspektivwechsel.

Bei der Dramaturgie orientiert sich das Angstkabarett am rhetorischen Wechselspiel eines Weißclowns (2) mit einem Rotclown (3), vulgo „Dummer August“ oder Seppl. Beide haben in unserer Kultur eine jahrhundertealte Historie, je nach Region mit unterschiedlichen Namen (jester/engl., fou/frz., bufón/span. … buffoon im Englischen ist Kasper). Diese Narren und Schelmen sprechen witzige Dialoge, voller Sottisen und Anspielungen. Hierin erkannte sich das Volk wieder, wie es sich der Obrigkeit gegenüber Luft verschaffte. So waren diese Stücke, oft auf Marktplätzen aufgeführt, ein soziales Ventil, von den Autoritäten geduldet, sogar erwünscht, wie Karnevals- und Faschingsumzüge mit ähnlicher Funktion. Manch aufgeklärter Fürst leistete sich sogar seinen persönlichen Hofnarr (auch um ihm zu spiegeln, ob der Kaiser sich nackt seinem Volke zeigt).

Der Weißclown tritt in dem Clown-Ensemble als Besserwisser und Autokrat auf. Er spielt die Elite, überzeichnet und karikiert sie. Kostüm und Schminke – weißes Gesicht, roter Mund, Kleidung aus Samt und Seide – versinnbildlichen seine Rolle. Der Rotclown ist sein Gegenspieler, allein schon äußerlich. Mit roter Nase, nach gusto glatzköpfig, bekleidet mit einem bunt-geflickten Anzug, in überdimensionalen Schuhen herumstakend, ist diese Figur Inbegriff von Komik schlechthin.

Historie

Historische Vorläufer sind der erwähnte Hofnarr, am gelungensten personifiziert durch die literarische Figur des Till Eulenspiegel. Im aktuellen Romanbestseller „Tyll“ katapultiert er sich mit Späßen und verwegenem Possenspiel aus den rigiden mittelalterlichen Gesellschaftsrahmen und dessen Protokoll. Damit unterläuft und überlebt er hochintelligent die Gräueltaten des Dreißigjährigen Krieges. Die Helden des Kintopps, Dick und Doof wie auch Charlie Chaplin, stellten in ihren tragikomischen Rollen das historische Vorbild nach. Auch Puppenspiel und Kasperletheater saugen daraus Honig und begeistern damit – pädagogisch wertvoll – Menschen ALLER Lebensalter.

In Weiß- und Rotclown treffen zwei Welten aufeinander, Herrscher und Untertan, Dogma und Freiheit, Mut und Angst, Vergangenheit und Zukunft. Nach diesem Muster inszeniert das Angstkabarett Situationen rund um die Angst und ihre Gefährten. In sketchartigen Begegnungen spielen die beiden Clowns tragikomische Situationen. So stellt der Weißclown etwa den Angstbetroffenen dar, der seine Angst verdrängt, Contenance bewahrt, während der Rotclown ihm vormacht, wie er sich mit seinen Ängsten kreativ auseinandersetzt und sie so überwindet.

Ich und Über-Ich, im heiteren Clinch. Im Rollenwechsel könnte der Rotclown den Ängstler geben, während der Weißclown in den Angstdämon schlüpft, der sein Opfer nicht vom Haken lassen will. Das ließe sich fantasievoll, vor allem publikumswirksam ausschmücken. Das Ganze ließe sich auch als Puppenspieltheater inszenieren, für Kinder, Erwachsene, Senioren gleichermaßen, das um Figuren wie Kasper und das Krokodil kreist, mit der Titelidee „Die Abenteuer des Mut-Kaspers (mit seinem Angst-Krokodil)“.

Statistik und aktueller Hintergrund

Ist doch der Hintergrund dieses Bühnenspiels ein sehr ernsthafter. Angst ist ein großes, aber verschwiegenes Thema unserer Zeit. Und sie nimmt massiv zu. In der steigenden Flut von psychisch-mentalen Beeinträchtigungen erblickt die Techniker Krankenkasse TK eine neue Volks- und Zivilisationskrankheit. Der medizinische Phobien-Katalog umfasst über 600 verschiedene Ängste. Und wir Deutsche sind möglicherweise besonders sensibel dafür, wie der international verbreitete Terminus „German Angst“ andeutet. Das dokumentiert die mit großem Medienecho bedachte Ausstellung „Angst. Eine deutsche Gefühlslage?“ (4) im Bonner Haus der Geschichte.

Die Gesundheitsstatistiken sprechen eine deutlichere Sprache. Zehn Millionen Deutsche leiden unter Angststörungen, fünf Millionen unter Depressionen, jeder zweite ist in Sorge vor einem Burnout. Die Krankschreibungen  wegen seelischer Beschwerden haben sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt. Sie alle gehen mit Ängsten einher, die viele Erscheinungsformen haben und deren Quelle oft aus der Kindheit stammt.

Die Palette reicht von der Angst vor Spinnen, über die sehr verbreitete Sozialangst, bis zur generalisierten Angststörung, der Angst vor allem und jedem. Als eher Exoten, gleichwohl medizinisch indiziert, gelten Epistaxiophobie (Angst vor Nasenbluten), Phagophobie (Angst vor Verschlucken). Michael Jackson litt unter der Angst vor Ansteckung und Schmutz (Rupophobie).

Therapiekonzept

Angst nur als Attribut des psychisch Gestörten zu sehen, entspräche allerdings nicht der Realität. Dieses Fehlurteil ist aus der Vorstellung geboren, die Menschheit ließe sich in gesund und krank einteilen (Pathogenese). So als stünden zwei Lager, Angstbetroffene und Angstfreie, einander gegenüber. Die Tatsache, dass die Übergänge fließend sind, manch vermeintlich Kranker gesünder als ein vermeintlich Gesunder ist, wird komplett ignoriert (Salutogenese). Der Schritt zur heute praktizierten gesellschaftlichen Stigmatisierung und Tabuisierung des Ängstlers und der Angstkranken ist dann nicht mehr groß.

Da Selbstschutz und ein positives Selbst- und Fremdbild wichtige Faktoren in der psychischen Dynamik sind, ist es dann zwangsläufig, dass Ängste verleugnet und abgewehrt werden. Diese arbeiten dann im Untergrund der Kollektivseele und produzieren Geschwüre am Körper der Menschheit, die beispielsweise betitelt werden können als AFD oder Fremdenhass.

Diese politisch relevante These kann in diesem streiflichtartigen Aufriss nicht verdichtet werden, Fakt ist: Die Therapie ist mit der Behandlung von Ängsten gänzlich überfordert. Sie findet allerdings in der Selbsthilfe einen kompetenten, mittlerweile von der Fachwelt akzeptierten Partner als vierte Säule des Gesundheitssystems. Akademische Fachexperten und Erfahrungsexperten bilden Tandems, erweitern den Ich- zum Wir-Modus. Insofern siedelt sich das Angstkabarett wissenschaftlich und gesellschaftlich unter dem Dach von Zivilgesellschaft und Bürgerwissenschaft, Selbsthilfe und Peer Coaching sowie Ehrenamt an.

Last but not least: Seit Jahren machen die Klinik-Clowns (5) Furore, Menschen die mit Clownsnasen zu Kranken gehen, besonders Kindern, und mit einem Lachen aufheitern. Der Arzt Eckart von Hirschhausen hat das medizinische Kabarett (6) erfunden und tourt mit seiner beliebten Show durchs Land. Im Herbst 2018 feierte eine weitere Variante dieser Kunst im Münchner Gasteig Premiere: das Burnout-Kabarett (7).

Salopp ausgedrückt: Wir legen die Gesellschaft auf die Psycho-Couch mit dem Ziel, die Angst herauszuholen aus ihrem Gefängnis und sie zu resozialisieren. Im Auftreten und Gegeneinander der beiden Clowns zu und in unterschiedlichsten Angstthemen und Kontexten, beispielsweise: zwischen Arzt + Patient, Eltern + Kind, Lehrer + Schüler, Frau + Mann, Chef + Mitarbeiter, Russe + Amerikaner, Erdling + Außerirdischer. Die Liste der Partnerschaften/Antinomien ließe sich beliebig erweitern. Je extremer, desto höher deren dramatische Fallhöhe!

Bühnen-Ideen

Für die Erdung und praktische Umsetzung: In Schullehrplänen würde Angsterziehung zum Kernfach (gegen den Widerstand der Bildungsminister), Angstbeauftragte mischten in Firmen bei Arbeitszeitregelungen mit, Aktionärsversammlungen begännen mit dem Angstreport des Vorstandsvorsitzenden, Börsen führten einen Angst-Index ein, am Kabinettstisch in Berlin säße der Minister für Angstangelegenheiten. In der Tagesschau hätte die Angstschau ihren festen Platz, etwa mit der Schlagzeile: Angst-Transformations-Zentren gegen Islamophobie.

Einmal gesetzt und etabliert wären auch weitere experimentelle Formen und Hybride des Angstkabaretts denkbar, etwa das Anspielen einer Angstsituation und Vollendung durch das Publikum, wie in Augusto Boals Forumtheater praktiziert (bekannt auch unter legislatives Theater und Theater der Unterdrückten) (8). Oder Einbezug des britischen „Theatre of Debate“ TOD (9). Nach dem theatralischen Einstieg in eine Angstsituation eine Zuschauerdebatte anzuschließen, die über Lösungsstrategien in Gesellschaft und Wissenschaft nachdenkt. Weitere Mittel der Kunst wie auch Musik erschließen viele weitere attraktive Formate. Wichtig: Die Bühnen-Publikums-Trennung zu brechen, alle als Co-Gestalter einzubeziehen. Wie beim konventionellen Polit-Kabarett, sind viele musikalischen Varianten und Ergänzungen denkbar, auch in der Verbindung mit anderen künstlerischen Formen, wie bei PCST 2018 Dunedin/NZ präsentiert (10).

Jedes Ding hat 3 Seiten

In a nutshell: Die Angst verliert ihren Feindstatus, in der Gesellschaft und beim Individuum. Das erkennt: Ich bin nicht meine Angst, biete ihr nur eine Heimat, bin aber nicht identisch mit ihr. In einem plakativen Bild: Ich bin die Schüssel, aber nicht die Suppe. Das wäre ein wichtiger Schritt zur Anerkennung und Integration von Angst in ihren vielfältigen Erscheinungsformen. Für alles Weitere wie auch künftige Angstkabarettauftritte wäre es hilfreich, uns an eine Lebens-, Bühnen- und Humorweisheit Karl Valentins zu erinnern:

„Jedes Ding hat drei Seiten. Eine positive, eine negative – und eine komische.“

  1. Wolfgang Chr. Goede, Wissenschaftsjournalist + Anxiety Advocacy, Josef Hitzenberger, Laienschauspieler + Regisseur
  2. https://de.wikipedia.org/wiki/Wei%C3%9Fclown
  3. https://de.wikipedia.org/wiki/Dummer_August
  4. https://www.hdg.de/haus-der-geschichte/ausstellungen/angst-eine-deutsche-gefuehlslage/
  5. https://www.klinikclowns.de/
  6. https://www.hirschhausen.com/
  7. https://www.gasteig.de/veranstaltungen/infotainment-comedy-on-fire-bis-der-arzt-kommt-ein-erlebnistrip.html,v54599
  8. https://de.wikipedia.org/wiki/Forumtheater
  9. http://www.theatreofdebate.co.uk/
  10. http://wfsj.org/v2/2018/04/23/pcst2018-engage-audiences-by-hearts-and-emotions-with-facts-and-figures/
bitte wweiter sagen ....