Rock die Neuronen Deines Publikums!

Dies ist ein Methodenkoffer für dialogisch-lustvolles Lernen. Frustriert die 999. Podiumsdiskussion mit den üblichen Verdächtigen durchlitten? Gelangweilt von hierarchischen Top-Down-Formaten? Wir blasen frischen Wind in Konferenzräume, Lehrveranstaltungen, Trainings — mit dem Neuronen-Rock: Resümé eines Workshops bei der 4. European Conference for Science Journalists 2017 Copenhagen.

Einladung zum Workshop an der Universität Kopenhagen (c) Goede


Nein, nicht doch: Weder Nürnberger Trichter noch wilhelminische Kadetten- und Paukschule. Hören wir nicht aus allen Richtungen, wir müssten auf Augen- oder Nasenspitzenhöhe miteinander umgehen? Bottom-up wins – hier die Navigation dazu in 19 Schritten.

Workshop-Teilnehmer (c) Goede

Die so schlecht beleumdete, weil in deutscher Sicht wenig disziplinierte Judenschule war ein fruchtbarer Schoß der KOMMUNIKATION und INTERAKTION, DISKUSSION und KREATIVITÄT. Deshalb der erhöhte Lärmpegel. Daher brachte die jüdische Welt so viele Forscher hervor, die die Welt geistig aus den Angeln hoben, wie Freud oder Einstein.

  • Die benachbarte islamische Kulturwelt liegt um die Ecke: Tausendundeine Nacht, fliegende Teppiche legen Zeugnis ab von der Macht gut erzählter Geschichten. Nutzen Sie für Ihre Vorträge STORYTELLING – ihr Publikum wird an Ihren Lippen hängen.
  • Bitte nicht am Pult festklammern: Aus dem freien Stand lassen sich die beliebten TED TALKS bestreiten: Technology Entertainment Design, in 20 Minuten. Hier wird über alles, Gott und die Welt gesprochen, nur: Es muss spannend erzählt sein, Sätze mit roten Backen, einer klaren Botschaft am Ende.
  • Eine Nummer kleiner und der Eisbrecher: SOZIOMETRISCHE AUFSTELLUNGEN in Seminaren. Pate steht Hellingers Familienaufstellung. Stellen Sie auf nach Namen, Schuhgrößen, akademischem Wissen, Träumen: In Minutenschnelle erreicht die Gruppe Arbeitstemperatur, mit klar konturiertem Profil über Wünsche und Angebote.
  • Viel Dynamik einbauen. Lassen Sie Teilnehmer von Tisch zu Tisch rotieren, dort auf unterschiedliche Themen und Gesprächspartner treffen. Das ist ein WORLD CAFÉ. Kennzeichen: Geschrieben und dokumentiert wird, bunt, auf der Papiertischdecke.
  • Vor allem: Geben Sie Jedem eine Chance. Jeder Teilnehmer zählt, jeder trägt eine Schatzkiste von Erkenntnissen mit sich herum. Schaffen Sie einen Kreis in der Mitte, in dem Teilnehmer in abwechselnden Runden Patz nehmen, um drei Minuten lang ihre Erkenntnisse und Kritik kundzutun. Das nennt sich FISH BOWL.
  • Endlich: Ausbrechen aus dem oft eng getakteten Seminar- und Konferenzkorsett – Durchatmen und in den Flow gehen! Harrison Owens OPEN SPACE propagiert: „Un-conferencing“. Die Kaffeepausen und die Kontakte, Gespräche dabei sind der Event. Akteure und Besucher werden Hummeln und Schmetterlinge.
  • Die Kunst und die Musen liefern ein ganzes Feuerwerk von Ideen, mit denen sich Workshops und Veranstaltungen jeder Art kreativ bereichern lassen. Lassen Sie die Teilnehmer zeichnen und COMICS anfertigen. Staunen Sie über die Wirkmacht gezeichneter Bilder. Comics als Botschafter der Wissenschaft und Innovation, etwa beim Energiepionier Künstliche Fotosynthese!
  • Ein wenig mehr Action, bitte: SCIENCE SLAMS sind Poetry Slams mit wissenschaftlichen Inhalten. Spannende neue Hypothesen, Schwinger gegen Einstein, alles möglich, doch bitte keine Verschwörungstheorien. Eine Jury oder das Applausometer entscheiden über die Qualität der Beiträge.
  • Seit Jahren ein TV-Blockbuster und internationale Kultsendung: die COMEDY-Serie „Big Bang Theorie“ mit Dr. Dr. Sheldon Lee Cooper. Millionen haben mit ihm die Gipfel theoretischer Physik erklommen. Inszenieren Sie doch selber mal eine WISSENSCHAFTSKOMÖDIE und werden Sie damit Youtuber.
  • SCIENCE CABARET ist ein neues, ebenso herausforderndes wie experimentelles Format. In Deutschland treten dazu die Science Busters auf, insbesondere Vince Ebert hat einen Namen. Alle Spielarten zu beherrschen, nicht nur lustig, sondern auch Satire und Spott, das ist die Kunst. In der Politik hat das Tradition. Warum nicht auch mal Wissenschaftler „derbleck’n“, die auch nur Menschen sind, mit allen den bekannten Fehlern des Homo sapiens, einen kritischen Spiegel vorhalten.
  • Gesungene Wissenschaft: Als OPER, GOSPEL, HIPHOP – gab’s bisher auch nicht so richtig. Damit die Neuronen so richtig abrocken. Auch hier wäre Pioniergeist gefragt. Blockflöte haben wir doch alle gelernt. Mit Musiknoten lassen sich viel Information wie auch Emotionen intonieren, auf der gesamten Bandbreite von nüchtern-sachlich, lustig, sarkastisch, wütend, romantisch … brilliant aufgeblättert und plastisch beschrieben in der Sommerausgabe der Musikzeitschrift „Crescendo“.

    Werkzeugkoffer (c) Goede
  • Der Brasilianer Augusto Boal, pädagoisch verwandt mit seinem großem Landsmann Paulo Frere, stellte politische Konflikte auf die Bühne. Besucher spielten sie aus. Dabei fanden sie allgemein verbindliche Lösungen. Wissenschaftliche Wahrheitssuche und Wissenschaftspolitik bergen Wespennester von Konflikten. Gibt’s für ein solches kritisches WISSENSCHAFTSTHEATER einen Wissenschafts-Boal?
  • Wenn es doch mal wieder ein Podium sein soll: Ein INVERTED PANEL, umgekehrtes setzt die Laien und Alltagsbetroffenen nach vorne und macht die Experten zu Zuhörern und Fragestellern. Diese Hierarchie schafft völlig neue Einblicke und Synergieeffekte. Getestet und empfohlen bei Wissenschaftsdebatten.
  • In BÜRGER- UND KONSENSUSKONFERENZEN sind Laien König. Das europaweite Gamba Projekt wurde von Co-Moderatorin Maren Schüpphaus mit durchgeführt. Es befragte Laien und Patienten zur Behandlung von Arthritis mit Stammzellen. Sie äußerten sich vor allem über die Ethik des Verfahrens und äußertenFragwürdiges dazu. Das öffnete vielen Medizinern die Augen.
  • Robert Jungks ZUKUNFTSWERKSTATT. Sie kennt drei Phasen: Kritik, Visionen, Umsetzung. Also, zunächst einmal dürfen und müssen sich alle „auskotzen“. Entschlacken bereitet vor: für das Abheben, den Flug zu den Sternen, das Träumen und Visionieren. Am Ende die Landung: Was von den Luftschlössern lässt sich auch umsetzen. Realistische Pläne sind gefragt.
  • Kinder sind geborene Wissenschaftler. Leider treibt die Schule vielen die natürliche Neugier aus. Geben wir den Menschen ihren natürlichen Wissenschaftstrieb zurück. Das macht CITIZEN SCIENCE. Sie nutzt Hobbys und lässt Nicht-Wissenschaftler Daten sammeln und auswerten. Setzen Sie das bei Ihren Seminaren ein!
  • WISSENSCHAFT FÜR ANALPHABETEN. Slumbewohner in Kolumbien haben ihren Kiez aus der Luft mit Luftballons und Kameras vermessen. Damit brachten sie ihre Nachbarschaft auf die Landkarte, füllten damit einen weißen Fleck und lernten ganz viel Wissenschaft dabei, unter der Regie von Medellins Wissenschaftsmuseum Parque Explora und seiner Programmleiterin Claudia Aguirre. Eine Strategie für den Umgang mit Flüchtlingen in Europa?
  • Falls Ihnen alle diese Werkzeuge nicht taugen, übernehmen Sie einfach diese PECHA KUCHA Form. 20 Bilder à 20 Sekunden, 20×20, ohne Texte, frei erzählt, nach 20 Sekunden wechselt automatisch das nächste Bild ein. Maß halten mit Worten ist gefragt. Oder mischen Sie die hier aufgeführten Formate. Gerührt oder geschüttelt: Vielleicht entsteht ein ganz neuer Cocktail.
Eisbrecher: Soziometrische Aufstellung (c) Goede

Nach der Vorstellung dieser Methoden erfolgte eine soziometrische Aufstellung über die Fragen, wie vertraut diese Methoden den Teilnehmern waren, wer sie kannte und anwendete, wer andere Methoden kannte. Dabei wurden die folgenden genannt.

  1. Guerilla Science
    Event Management mit Pfiff und Aktion, im Dreier-Schritt: Spark Curiosity. Defy Convention. Inspire Wonder. Beispiel: Sensoric Speed dating, bei Dunkelheit mit den Händen, Nasen, nicht-optischen Sensoren des Körpers.
  1. Science & Cocktails
    Etwa der Vortrag eines bekannten Astrophysikers, wie wir alle aus Sternenstaub entstanden sind, unsere Körper die gesamte Vergangenheit der Geschichte und des Kosmos enthalten, begleitet von entsprechenden Cocktails, „Stardust“ oder „Black Hole“. Spezialität von Christiana, Kopenhagen.
  1. Mind-Map & Mind-Mapping
    Gedankenkarte: Assoziieren zu einem Thema und die Ergebnisse in Rubriken zusammenfassen. Eignet sich auch hervorragend bei Stoffsammlung und Strukturierung von Artikeln, Essays, Schriftliches.
  1. Confession Session/“Tu’ Buße!“
    Mit dem Publikum seine größte Sünde aus seiner Arbeit beichten im Spektrum der sieben bekannten Todsünden, dafür belohnt werden mit Schokolade und Lakritze, quasi als Absolution. Eine neue Methode, die außerordentlich spannend ist, mit großer Lernstimulation für das Publikum, entlastend für die Beichtenden. Vor allem, die Sünden sind gar nicht so gewaltig, wie von den Beichtenden irrtümlich angenommen.
Arbeitsgruppen zu Einzelthemen (c) Goede

Anschließend sammelte die Moderation Themen, die die ECSJ-Teilnehmer mit diesen Methoden bearbeiten wollten. Darunter die Frage, wie man als Wissenschaftsjournalist sich als Entrepreneur etabliert und Zugang zu Sponsorengeldern bekommt; wie man neue ungewöhnliche Zugänge zum Klimathema findet (u.a. Leser fragen); wie man die für Wissenschaft und Technologie Unerreichbaren erreicht (etwa indem man in Einkaufszentren den Einkauf von Käufern in Augenschein nimmt und mit ihnen darüber spricht). Besonders spannend auch die Frage, wie der Wissenschaftsjournalismus politischer wird, was auf der Kopenhagen-Konferenz gefordert worden war.

Maren Schüpphaus und Wolfgang Goede, beide Netzwerk Gemeinsinn, stellten diese Methodenfibel, zusammen mit Marc-Denis Weitze, erstmals auf der Weltkonferenz “Public Communication Science and Technology” PCST 2016 in Istanbul vor und übten sie mit Teilnehmern ein. Im gleichen Jahr wurde der Werkzeugkasten bei der Veranstaltung „acatech am Dienstag“ in München ausgepackt. Im Juni 2017 schließlich fand die Methodologie Eingang in das Programm der 4th European Conference for Science Journalists 2017 Copenhagen.

Präsentation der Arbeitskreisergebnisse (c) Goede

Als grundlegendes Lehrbuch für die Vielfalt von Kommunikation und wie sie sich damit das Verhältnis Wissenschaft und Gesellschaft gestalten lässt, besonders auch unter dem Aspekt „frühzeitige Einbindung der Öffentlichkeit“, etwa bei der künstlichen Fotosynthese, empfiehlt sich „Wissenschaftskommunikation. Schlüsselideen. Akteure. Fallbeispiele“ der Autoren Marc-Denis Weitze und Wolfgang M. Heckl (Kommunikationspreisträger u. Generaldirektor Deutsches Museum), erschienen bei Springer-Spektrum.

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